Burgstraße59 – Update001 I Sicherung heißt in Salzwedel offenbar Abriss
Sicherung heißt in Salzwedel offenbar Abriss
Am frühen Montagmorgen haben sich rund 25 Menschen vor dem Grundstück Burgstraße 59 in Salzwedel versammelt, um gegen den fortschreitenden Abriss des historischen Gebäudes zu protestieren.
Das Haus steht im Zentrum der Altstadt und ist das ehemalige Wohnhaus jüdischer Salzwedeler*innen. Vier der insgesamt sechzehn Stolpersteine der Stadt erinnern hier an Clara Weil sowie Rachel, Hanna und David Hirsch, die aus diesem Haus deportiert und ermordet wurden. Es ist eine bittere Kontinuität, dass der Abriss ausgerechnet rund um den 9. November, 86 Jahre nach den Novemberpogromen, stattfindet.
Trotz öffentlicher Debatten, einer laufenden Petition und konkreter Angebote aus der Stadtgesellschaft wurden die Abrissarbeiten Ende letzter Woche begonnen.
Wir sind uns bewusst, dass der Altmarkkreis als Behörde verpflichtet ist, verfallende Gebäude zu sichern und Gefahren für Dritte abzuwenden. Doch in Salzwedel scheint Sicherung immer wieder Abriss zu bedeuten. Dabei liegen dem Kreis seit mehr als zwei Wochen konkrete Vorschläge zum Erhalt des Gebäudes vor. Eine Antwort stand bis Montagabend aus.
Zugesagte Anteile – ignorierte Möglichkeiten
Wir haben bereits in der vergangenen Woche angekündigt, dass wir mit der Jewish Claims Conference (JCC) in Frankfurt im Gespräch sind – einer internationalen Organisation, die Vermögensansprüche von Opfern des Nationalsozialismus und ihren Nachkommen verwaltet.
Die JCC hält 15 Prozent der Anteile an der Burgstraße 59 und hat uns letzte Woche mündlich, heute nun auch schriftlich, mitgeteilt, dass wir diese Anteile übernehmen können.
Umso absurder ist es, dass von uns heute Morgen vom Bauordnungsamt ein aktueller Grundbuchauszug verlangt wurde – obwohl bekannt ist, dass Grundbucheintragungen im Altmarkkreis derzeit mehrere Monate Bearbeitungszeit benötigen. Im Laufe des Tages konnten wir dem Bauordnungsamt ein Schreiben zukommen lassen, in dem die Absicht der JCC schriftlich bestätigt wurde.
Unverhältnismäßigkeit und fehlender Dialog
Das Bauordnungsamt teilte uns heute vor Ort mit, dass die angeordneten Maßnahmen bis Ende Februar abgeschlossen sein müssen. Warum es so eilig ist, wenn gleichzeitig Menschen Verantwortung übernehmen und tragfähige Lösungen anbieten wollen, bleibt unverständlich.
Ein sofortiger Abriss schafft keine Sicherheit, sondern vollendete Tatsachen – auf Kosten unwiederbringlicher Gebäudesubstanz und öffentlicher Mittel.
Hinzu kam ein unverhältnismäßiger Polizeieinsatz am heutigen Morgen. Bereits kurz nach sieben Uhr wurde die Baustelle abgesperrt, später trafen Einsatzkräfte mit rund zehn Beamt*innen ein. Menschen, die sich friedlich für den Erhalt des Hauses einsetzten, wurden von der Baustelle gedrängt, durchsucht, mit Platzverweisen belegt – obwohl die TraWo eG im Austausch mit der JCC handelt und in deren Einvernehmen agiert.
Mittlerweile haben wir ein Gesprächsangebot vom Landkreis erhalten. Wir hoffen auf einen produktiven Austausch und nehmen das Angebot gerne an.
Gemeinsame Verantwortung statt vollendete Tatsachen
In den vergangenen Jahren sind in Salzwedel bereits mehrere Baulücken entstanden – wieder ohne öffentliche Diskussion, obwohl es bekanntermaßen mehrere Initiativen gibt, die bereit sind, Verantwortung zu übernehmen. Diese Form der Stadtentwicklung zerstört wertvolle historische Substanz und ignoriert Stimmen aus der Stadtgesellschaft.
Für uns geht es um eine Debatte darüber, wie wir Häuser und Wohnraum in der Stadt erhalten können. Unsere personellen und vor allem finanziellen Kapazitäten sind begrenzt – und eines steht fest: Wir allein werden nicht in der Lage sein, die Perspektive für das Gebäude in der Burgstraße 59 zu sichern. Dafür braucht es viele Akteur*innen – zu denen selbstverständlich auch Stadt und Kreis gehören.
Daher möchten wir an dieser Stelle erneut unseren Vorschlag bekräftigen, einen runden Tisch zu eröffnen: für eine gemeinschaftliche und bedürfnisorientierte Stadtentwicklung, bei der der Erhalt des historischen Bestands in der Salzwedeler Innenstadt ein Anfang sein kann.
Wir fordern den Altmarkkreis Salzwedel auf, die Abrissarbeiten sofort auszusetzen und gemeinsam mit allen Beteiligten nach tragfähigen Lösungen zu suchen und einen verantwortungsvollen Umgang mit der ohnehin wenig sichtbaren jüdischen Geschichte der Stadt zu finden.